Bicicletta da Corsa - Venticinque
pagina #29 www.biciclettadacorsa.de Graveln ist der neue Trend schlechthin im Radsport, Cross war gestern. S ti mmt das? Oder wird hier von der Fahrrad ‐ branche sprichwörtlich nur die nächste Sau durchs Dorf ge ‐ trieben, damit sich der passionierte Radfahrer für seine O ff road ‐ Touren ein weiteres Bike zulegen muss? Wir haben mit Jens Schwedler, ehemaliger Weltmeister, am ti erender Deutscher Meister im Cyclocross und Ideengeber bei STE ‐ VENS für die Entwicklung von Crossrädern, über die Ent ‐ wicklung des Cyclocross gesprochen und warumGraveln so gar nichts damit zu tun hat. Dein Claim lautet „Auf jedem Crossrad sitzt ein guter Typ“ – Gravel ist der neue Trend und mit dem Cross verwandt. Erweiterst Du jetzt Deinen Spruch? Ich habe nichts gegen Gravelbiker, überhaupt nicht. Aber die machen einfach etwas anderes, daher halte ich an meinem Claim fest, so wie er ist. Und ich bin nun mal ein Crossfahrer seit der ersten Stunde. Wann hast Du das erste Mal auf einem Crossrad gesessen? Ich habe 1977 mit dem Radsport begonnen. Da war ich 9 Jahre alt und musste als Wintertraining das erste Mal Cross fahren. So etwas wie Rollentrainer gab es nicht. Es war auf einem Alan ‐ Rahmen mit Can ti leverbremsen. Wir haben mit Techniktraining begonnen, um das 1x1 des Cross zu lernen, aber auch, um auf der Straße eine bessere Radbeherrschung zu haben. Und wie genau sah das Training damals aus? Und ist es heute anders? Die Basics sind die Gleichen damals wie heute: Schnell Kurven fahren (können), aufspringen & abspringen, das Rad schultern, Hindernisse überwinden, schnell antreten und ebenso schnell auf unterschiedliche Situa ti onen im Ren ‐ nen reagieren können. Du bist also auch direkt Crossrennen gefahren? Nein, ich dur ft e erst mit 12 Jahren Crossrennen fahren. Aber an mein erstes Rennen kann ichmich noch gut erinnern: Es war in Kol ‐ ding in Dänemark. Ein Dutzend Steppkes mit viel zu großen Rädern standen am Start, allen schlug das Herz bis zum Hals. Dann: „Auf die Plätze, fer ti g, los!“, Startschuss und schon p fl ügte die Horde durch das Gelände. Damals wie heute haben wir uns keinen Meter geschenkt. 20 Minuten Vollgas, Zickzack durch den Wald, durch Sandpassagen und über Baumstämme. Am Ende habe ich im Zielsprint gewonnen. Und Du bist dem Radsport treu geblieben – 1995 bei Giant sogar als Pro fi . Korrekt. Auf einer Messe ha tt e ich den Team ‐ Manager des Teams Giant Europe getro ff en, der auf der Suche nach einem deutschen Fahrer für sein Team war. Wir verstanden uns gut, tauschten Karten aus. Das war es. Einen Monat später dann rief mich mein damaliger Chef bei STEVENS in sein Büro: „Jens ich muss Dich leider entlassen.“ Dann legte er mir ein Fax hin: „Wenn Du das nicht machst, bist Du der dümmste Mensch der Welt.“ Es war ein Pro fi ‐ An ‐ gebot. Ein Traum ging in Erfüllung. Aber auch dort bist Du O ff road unterwegs gewesen? Ja. Giant Europe war mit Ikonen wie RobWarner, John Tomac, Albert Iten oder Rune Hoydahl das erfolgreichste MTB ‐ Team in den 90iger Jahren. Wir sind Rennen in der ganzenWelt ge ‐ fahren, ich habe so hart trainiert wie danach nie wieder, das Teammit seinen unterschiedlichen Typen war grandios. Eine wahnsinnige Zeit! Übrigens bin ich damals im Winter auch immer noch Crossrennen gefahren: Auf einemAlan ‐ Rahmen von Giant umlackiert, weil die damals keine Crossräder ge ‐ baut haben. Wären sie mal auf den Zug aufgesprungen – viel ‐ leicht wäre Giant heute die Top ‐ Marke für Crossräder. Nach Deiner Pro fi ‐ Karriere bist Du dem Crosssport treu ge ‐ blieben und hast an der Entwicklung von Crossrädern bei STEVENS mitgewirkt. Ich habe nachmeiner Pro fi zeit u.a. auch zwei Crosssportler trainiert und bin selber weiter Cross ge ‐ fahren. 2002 entschied ich mich recht spontan bei der deut ‐ schen Meisterscha ft zu starten. Auf einem STEVENS Trekking ‐ Rahmen an dem eigentlich eine Federgabel mon ‐ ti ert war, mit etwas sportlicherer Shimano ‐ Aussta tt ung & Rennlenker. Sah aus wie ein Crossrad, war aber keins. Als mich dann der STEVENS Produktmanager fragte, was ich damit bei der Deutschen werden wollte, sagte ich „Naja, Ers ‐ ter natürlich.“ Und hängte dran: „Und wenn ich deutscher Meister werde, dann baut Ihr mir ein Crossrad nach meinen Wünschen.“ Er lachte, ich gewann und STEVENS baute das erste rich ti ge Crossrad. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Heute ist STEVENS aus dem Pro fi ‐ Crosssport nicht mehr weg ‐ zudenken. Und dann? Was machte dieses „neue“ Crossrad aus, was hat davon heute noch Bestand? Wir haben uns zusam ‐ mengesetzt, gemessen und gezeichnet: Ich wollte ein möglichst tiefes Tretlager um einen guten Schwerpunkt zu haben. Das macht das Fahren im Gelände und bei Kurven einfacher. Ein möglichst kurzer Radstand macht das Rad wendig – absolut notwendig beim Cross. Unterschiedliche Reifenbreiten mussten auch ermöglicht werden. Ein leich ‐ ter Rahmen sowie ein flaches Oberrohr zum Tragen waren unabdingbar, gleichzeitig sollte das Rad stabil gebaut sein, um den hohen Belastungen beim Cross standhalten zu können. Diese Punkte gelten auch heute noch. Hinzu kom ‐ men heute natürlich Scheibenbremsen, andere Antriebe und Übersetzungen als das was wir früher so hatten. Gravel heißt der neue Trend. Hat das für Dich etwas mit Cross zu tun? Nein. Beim Cross geht es um Fahrtechnik, schnelle Rennen mit bis zu einer Stunde Dauer, bei denen man auf einer vorgegebenen Runde von 2 ‐ 3 km eineMaximalleistung erbringt. Das gilt für Hobbysportler wie für Pro fi s. Beim Graveln werden längere Distanzen in weniger technischem Gelände gefahren. Die Belastung ist länger und moderater, mitunter wird Gepäck mitgenommen. Was sind die wesentlichen Unterschiede im Vergleich zum Crossrad? Ein Gravelbike ist etwas komfortabler aufgebaut: Angefangen beim ausladenden Lenker, einemweiteren Rad ‐ stand, breiteren Reifen mit bis zu 47mm Breite, hier und da sieht man Federungen an Sa tt elstütze oder Steuersatz, au ‐ ßerdemAufnehmer um Schutzbleche, Gepäckträger oder Ta ‐ schen mon ti eren zu können. Heißt, die Anscha ff ung eines Gravelbikes macht schon Sinn? Ich kann jeden verstehen, der fernab des Straßenverkehrs sportlich Radfahren möchte oder sich im Gegensatz zum Rennrad mehr Flexibilität bei der Tourenplanung wünscht. Trends entstehen ja immer auch aus einem Zeitgeist heraus: Gerade aktuell gibt es viele gute Gründe, das Rad als Sport ‐ gerät, Pendlerfahrzeug oder gar für die Urlaubsreise zu nut ‐ zen. Ich beobachte den Fahrradmarkt aber schon eine Weile und es gibt immer wieder neue Trends. Hier lassen sich ge ‐ rade Hobbysportler auch zu sehr verleiten. Wer amWochen ‐ ende zwei bis drei Stunden zügig durch den Wald fahren möchte, braucht dafür kein neues Rad, der kann dies mit sei ‐ nem Hardtail oder Crossrad auch ganz hervorragend. Du bist bei STEVENS auch im direkten Verkauf an Endkunden tä ti g. Was wird da mehr nachgefragt – Cross oder Gravel? Viele Kunden kommen zu uns und möchten ein Gravelbike haben. Sie verwenden das als Synonym für „Ich möchte nicht nur auf der Straße fahren können.“ Wenn man dann ein wenig die Bedürfnisse hinterfragt, zeigt sich, dass vielen die Unterschiede gar nicht klar sind und sie mit einem leichten Crossrad mit weniger dicken Reifen ebenso sehr gut bedient sind. Übrigens auch ein Argument sich einfach einmal imqua ‐ li fi zierten Fachhandel beraten zu lassen. 12 Belebt der Trend zum O ff road ‐ Fahren auch den Rennsport? Bei den Crossrennen imWinter sind die Star tf elder insbeson ‐ dere in den Hobbyklassen mi tt lerweile wirklich groß. Das ist eine tolle Entwicklung! In Ländern wie Belgien ist Cyclocross Volkssport. Es würde mich freuen, wenn wir in Deutschland einmal so viele Besucher bei nur einem Rennen hä tt en wie es in Belgien jedes Wochenende der Fall ist. Im Gravelbereich werden auch immer mehr Events mit Ma ‐ rathon ‐ Charakter sowie extreme Rennen angeboten. Ich denke jedoch nicht, dass auf Dauer viele dieser sehr langen Rennen Bestand haben werden. Früher waren Events wie die TransAlp oder der Ötztaler innerhalb kürzester Zeit ausge ‐ bucht, das ist längst nicht mehr so. Auch beimGravel werden nur einige Events Bestand haben, dafür ist das Angebot ein ‐ fach zu groß. Das Gute ist aber, dass der Gravel ‐ Sport oder das Gravel ‐ Rad neben den Cross ‐ Sport viel Platz hat, sich zu en tf alten.
RkJQdWJsaXNoZXIy Mzk0ODY=